"Une saison volée" story

"Une saison volée" story

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"Sie könnte das Telefonbuch singen und es wäre immer noch Musik." Ich weiß nicht mehr wer von uns beiden, Oliver Fröschke oder ich, das zuerst gesagt hat. Es wurde allerdings ein gern genommener Standardspruch von uns beiden. Was ich noch weiß ist, dass ich schon lange das erste Album von Françoiz Breut bei meinen DJ-Abenden in diversen Bars in Köln aufgelegt habe. Und wer schon einmal hinter so einer Theke aufgelegt hat, der weiß, wie selten Leute auf die Musik reagieren. Bei Françoiz Breut war das fast immer anders. Kaum lief ein Stück, hielten die Leute in ihren Gesprächen inne und hörten genau hin. Oft kam dann die Frage: "Wer ist denn das, bitteschön?"

Der Grund für die Frage war beim sehr ruhigen Debüt schnell klar: es lag an der Stimme und nicht so sehr an den Songs - die ewige Frage wurde hier einmal beantwortet. Dabei hatte die Breut mit Dominique A – ihrem langjährigen Lebenspartner – einen der begnadetsten Songwriter der neuen Szene an ihrer Seite. Doch das interessierte weder die Bargänger zu der Zeit noch Presse und Publikum Jahre später. Selbst als Monsieur Ané auf dem zweiten Album ihr ihren größten Hit "Si tu disais" auf den Leib schrieb, schaute kaum jemand im Booklet nach Autor und Komponist. Bei uns im Plattenladen, in dem ich auch gelegentlich jobbte, war das auch nicht anders. Über Dominique A wurde kaum geredet, von ihr wurde geschwärmt. So ist die Welt – ungerecht aber auch schön. Als Le Pop 1 erschien, grüßte Françoiz auf einmal von der Titelseite der Taz und als sie das erste Mal in Deutschland spielte, war sie der Grund für den ersten großen Hype rund um das, was wir Neo-Chanson oder die "Nouvelle Scène Française" nannten.

Ich habe keine Lust jetzt hier zu persönlich zu werden – aber vielleicht könnt ihr euch vorstellen, wie sehr ich, der Jahre nur ihre Stimme von Platte kannte und auf einmal ihre Alben rausbringen durfte, von dieser Entwicklung beeindruckt war. Wir hatten damals einen zweiten Versuch gestartet, um Mathieu Boogaerts für unser Label zu gewinnen. Und derzeit – nur kurz mit ihrem dritten Album – war Françoiz Breut beim gleichen Pariser Label unter Vertrag und so kam eins zum anderen. Auf einmal standen wir da und durften "Une saison volée" mit unserem Logo verschönern. Das ging so schnell, dass wir das kaum fassen konnten. Wir mussten um Boogaerts kämpfen und bekamen Breut als Kirsche auf der Torte einfach dazu. Das erklärt viel, wie sehr sich die Perspektiven zwischen Franzosen und Deutschen unterscheiden, wenn es um das Chanson geht. Als wir in Berlin einen Showcase mit vier französischen Künstlern – neben ihr waren das noch Mathieu Boogaerts, Jérôme Minière und Toma – organisierten, rannten die Leute uns die Bude ein. Und es war schnell klar, dass die meisten vor allem wegen ihr kamen.

Als daraufhin die Tour gebucht wurde, wuchs sich der Hype sogar weiter aus. Eine Veranstalterin erzählte mir, dass sie von der Konkurrenz nachts Anrufe bekam. Es wurde ihr geraten, sich doch lieber mit anderen Themen zu beschäftigen. Kurz: es war heftig. Ich hatte mich schon seit unserer ersten Compilation daran gewöhnt, wie schnell und wie stark sich ihre neuen Hörer in sie wortwörtlich verliebten. "Une saison volée" ist dabei wie eine Compilation gebaut, nur merkte das Publikum das nicht, weil es ja ihre Stimme war, die immer noch wichtiger war, wie die Songs, die hier von vielen verschiedenen Songwritern beigesteuert wurden.

Um herauszufinden, was den Charakter ihrer Stimme ausmacht, braucht man sich nur den Teil von "La certitude" (geschrieben von Jérôme Minière) anzuhören, bei dem ihr Gesang einsetzt. Nur die ersten Zeilen. Mit einer unerschütterlichen Leichtigkeit gleitet ihre Stimme über den ungestümen Beat der Band hinweg. Als würde eine Rodeo-Reiterin auf einem schwer bockenden Pferd lächelnd in die Kamera schauen und dabei singen. Man hört ihr dabei zu und stellt auf einmal fest, wie sie – so scheint es – intuitiv die richtige Stelle zum Atmen findet. Und dieser Hauch allein ist auch wieder Musik, fast der schönste Moment dieses Stücks. Bitte versteht mich nicht falsch. Sie ist alles andere als das so gern gefeierte Klischee einer hauchenden Chanteuse. Ihre Stimme hat Kraft und ist vergleichsweise tief. Und dieses Atmen ist auch kein Stilmittel sondern an dieser Stelle einfach nötig.

Es ist nach "Vingt à trente mille jours" das zweite und letzte Mal, dass sie sich Songs von verschiedenen Autoren aussuchte. Das hat seinen großen Reiz daran, dass sie hier in großer Vielfalt agiert, in vier verschiedenen Sprachen singt und dabei die Grenzen ihres eigentlichen Genres Chanson sehr stark in alle möglichen Richtungen dehnt. Der Indie-Rock von "La certitude" führt zum Alternative Folk bei "Over All" von Herman Düne. Emotionale spanische Romantik bei "Ciudad del Mar" schlägt die Brücke zum Hardy-Stück "Le premier bonheur de jour" (das sie übrigens durch die Brasilianer Os Mutantes lieben gelernt hat), um dann wieder zum damals zeitgenössischen Neo-Chanson "km 83" von Dominique A zurückzukehren. Was hier ganz selbstverständlich wie ein geschlossenes Werk wirkt, von der Wärme ihrer Stimme getragen und zusammengehalten wird, war allerdings für sie selbst eine sehr große Herausforderung. Nach diesem Album ging sie dazu über selbst die Texte zu schreiben und die Songs mit einer Band zu komponieren. Dadurch – wie zum Beispiel bei ihrem letzten Album "Zoo" haben die Alben noch einen stärkeren roten Faden, einen homogeneren Sound und man sollte sie selbstverständlich alle hören. Ich liebe an "Une saison volée" das Spannungsvolle, die Gegensätze und die beiläufige Eleganz mit der Françoiz Breut hier besonders brilliert. Natürlich liegt das auch an den Geschichten, die sich um den Hype der frühen Le-Pop-Tage drehen und die erst durch sie wirklich legendär wurden.

Übrigens. Im März 2021, so ist der Plan, wird Françoiz Breut mit ganz neuer Band ein neues Album herausbringen, wir durften schon ein bisschen reinhören und es wird ganz sicher fantastisch.

Text: Rolf Witteler, Sommer 2020

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